Städtisches Archiv hütet den Bildschatz von Görlitz
Familienforscher und Historiker greifen gern auf die 200.000 Fotos zurück. Das fotografische Gedächtnis wird ausgebaut.
Die visualisierte Vergangenheit und somit die Möglichkeit, Geschichte in Augenschein zu nehmen, besitzt für jeden einen ungeheuren sinnlichen Reiz und macht das Vergangene nacherlebbar. Dass der für 2020 herausgegebene Robert-Scholz-Kalender nach kurzer Zeit nahezu vergriffen ist, belegt das. Anfragen nach Bildern erreichen das Görlitzer Ratsarchiv permanent. Die Fotobestände reichen bis 1860 zurück. Sie umfassen mehr als 200.000 Fotografien und gehören zu den umfangreichsten in sächsischen Kommunalarchiven.
Die Bilder befinden sich oft auf sensiblem Trägermaterial. Genannt seien nur die über 20.000 Glasnegative, Diapositive und Filme. Deren Erhaltung ist aufwendig. Davon Reproduktionen anzufertigen ist teuer und langwierig. So mussten etwa die Glasnegative jeweils auf dem Lichttisch abfotografiert werden. Die Entwicklung der Scanner und digitalen Speichermedien eröffnete neue Möglichkeiten zur Erhaltung und Nutzbarmachung dieser besonders in Görlitz für den Denkmalschutz so bedeutsamen Bestände. Es gelang in Kooperation und mit finanzieller Hilfe des Landesamtes für Denkmalpflege, der Veolia-Stiftung sowie des Arbeitsamtes ein über Jahre laufendes Digitalisierungsprojekt zu initiieren. Im Ergebnis wurden bis heute über 150.000 Bilder digitalisiert.
Die Speicherung der riesigen Datenmengen bildete eines der größten Probleme. Gemeinsam mit Dr. Jens Blecher, dem Direktor des Universitätsarchivs Leipzig, gründete das Ratsarchiv 2014 den „Mitteldeutschen Archivverbund“. Der Verbund soll gerade mittleren Kommunalarchiven die Möglichkeit der Speicherung und Präsentation digitalisierter Archivbestände bieten. Zudem tauschen die Kollegen auf vielfältigen Veranstaltungen Erfahrungen aus und erhalten von externen Spezialisten auch neuestes Know-how vermittelt. Heute zählen über 20 Kommunal- und Universitätsarchive aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zum Verbund. Das Ratsarchiv Görlitz bietet im digitalen Lesesaal auf der Website des Verbundes neben den permanent genutzten Fotobeständen auch Einsicht in die Namensverzeichnisse der frei nutzbaren Personenstandsregister. Besonders Familienforscher aus der ganzen Welt machen von diesem Angebot rege Gebrauch. In den kommenden Jahren wird der Schwerpunkt auf die noch exaktere Verzeichnung, Verschlagwortung und Datierung der Digitalisate in den Bilddatenbanken gelegt. So kann bedeutend komfortabler als bisher recherchiert werden.
Am häufigsten wird der bekannteste und künstlerisch bedeutendste Nachlass des Robert Scholz genutzt. Die tiefere Erschließung der Nachlässe weiterer bedeutender Görlitzer Fotografen wird das Interesse an der Geschichte der Stadt noch erhöhen. Verwiesen wird dabei beispielsweise auf Alfred Jäschke (1913 – 1953), dem wir unter anderem sehr charaktervolle Bilder des Literatur-Nobelpreisträgers Gerhart Hauptmann verdanken. Dem Fotografen Walter Wolf (1900 – 1980) verdanken wir neben der Dokumentation der allgemeinen Stadtgeschichte besonders Theater-Bühnenfotografien. Die Fotografen Mattuschek und Vogt dokumentierten besonders die Entwicklung der Stadt während der Zeit der DDR. Ihre Aufnahmen wurden oft zur Produktion von Ansichtskarten genutzt. Von unschätzbarem Wert besonders für die Geschichte der Parks, Grünanlagen und Gärten der Stadt ist der Nachlass des legendären Gartenbaudirektors (1939 – 1966) und Hobbyfotografen Henry Kraft. Seine Farbdias aus der Nachkriegszeit fesseln den Betrachter bis heute. Zudem zählt das Ratsarchiv mehrere Hundert Schenkungen fotografischer Nachlässe.
Auch das Archiv selbst legte bereits vor dem Zweiten Weltkrieg eigene Sammlungen an, die bis heute fortgeführt werden. In den vergangenen Jahren erhielt das Ratsarchiv zudem zahlreiche Schenkungen von Görlitzern oder ehemaligen Neißestädtern.
Das fotografische Gedächtnis der Stadt wird also auch in Zukunft bewahrt.
Am 10. Dezember, 17 Uhr, lädt das Ratsarchiv (Untermarkt) zu einem Streifzug durch die Fotobestände ein.
Informationen
Ratsarchiv Görlitz Online
http://goerlitz.mitteldeutschearchive.de/
Mitteldeutsche Archive
http://mitteldeutschearchive.de/